Überlebensstrategien / Traumafolgestörungen

Eine traumatische Erfahrung stellt eine extreme, existenzielle Bedrohung dar. Es kann einige Wochen oder auch Monate dauern, bis ein Mensch sich davon erholt hat.

Unsere menschlichen Reaktionen auf ein Trauma lassen sich in drei zeitlich aufeinander folgende Phasen einteilen:

Direkt nach einem traumatischen Ereignis reagieren wir mit einem schockartigen Zustand, in dem wir oft aufgeregt, verwirrt, traurig, wütend, albern oder wie betäubt sind. Manchmal können wir uns an das Erlebte nicht erinnern (Amnesie), manchmal bleibt es aber auch überdeutlich in unserem Gedächtnis. Das zeigt sich in Träumen oder auch Flashbacks, in denen wir das Erlebte wieder und wieder erleben, als würde es uns genau jetzt noch einmal passieren. Wir können uns wie entfremdet  –  wie nicht wir selbst  –  fühlen oder das Gefühl haben neben uns zu stehen. Dieser Zustand geht nach einigen Stunden oder Tagen zurück.

Während unser Körper und unsere Seele damit beschäftigt sind, das Trauma zu verarbeiten, werden wir uns selbst manchmal nicht wiedererkennen, uns ganz fremd vorkommen oder uns einige Dinge, die mit uns passieren, seltsam vorkommen. All dieses dient dazu das Trauma zu verarbeiten.

Dazu gehört z. B. das Bedürfnis sich immer wieder mit dem Trauma auseinanderzusetzen, vielleicht darüber sprechen zu wollen. Träume von dem Erlebten und auch Flashbacks sind "normal" in dieser Phase. Aber auch das genaue Gegenteil, nämlich die Vermeidung der Auseinandersetzung, das Bedürfnis mit allem in Ruhe gelassen werden zu wollen, gehört dazu. Phasen der Auseinandersetzung und der Vermeidung werden sich abwechseln und dienen der natürlichen Traumaverarbeitung. In dieser Zeit fühlen wir uns immer mal wieder verwirrt, sind "nicht richtig da", wissen nicht, wo wir mal wieder mit unseren Gedanken sind, sind vergesslicher. Es kann auch sein, dass wir uns selbst fremd fühlen, fremd in unserem Leben, in der Welt, uns selbst fremd sind. Gefühle, z. B. Traurigkeit, Wut können abrupt wechseln, ebenso wie Bedürfnisse, z. B. nach Nähe und Kontakt oder auch nach Alleinsein. Wir sind viel dünnhäutiger und reizbarer als sonst. Auch unser Körper weist noch Anzeichen von traumatischem Stress auf wie z. B. Schweißausbrüche, Schlaf–, Konzentrationsstörungen, Herzklopfen etc. Wenn wir an das Ereignis denken, bekommen wir Panik oder Todesangst.

Auch wenn es für uns Menschen äußerst unangenehm und belastend ist, uns so zu erleben, so ist es doch normal und hilft uns, mit dem Trauma fertig zu werden. Wir versuchen, in unseren "normalen" Alltag, in unser Leben zurückzufinden, aber wir stehen noch stark unter dem Einfluss des traumatischen Ereignisses. Deshalb ist diese Zeit begleitet von den unterschiedlichsten Schwierigkeiten, wie z. B. auch Selbstzweifel, Schlafprobleme, Depressionen etc. In der Fachsprache wird diese Zeit der Verarbeitung des Traumas als "akute Belastungsreaktion" bezeichnet.

Unser Organismus und auch unsere Seele haben vielfältige Fähigkeiten und Ressourcen, sich selbst zu heilen. Wenn wir versuchen darauf zu vertrauen und sie "machen zu lassen", dann haben wir gute Chancen, wieder gesund zu werden. Wichtig ist, dass wir uns Zeit lassen.

Mithilfe unserer Selbstheilungskräfte gelingt es uns in vielen Fällen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Eine solche Verarbeitung ist uns gelungen, wenn wir wissen, was passiert ist, was wir dabei gefühlt, was wir gedacht und wie wir reagiert haben. Wenn wir das Erlebte in einen Zusammenhang einordnen können, dann können wir die Einstellung, das Wissen entwickeln, dass es vorbei ist, und dass wir es überlebt haben.

Ob wir ein Trauma allein mithilfe unserer Selbstheilungskräfte bewältigen können, lässt sich nicht vorhersehen und hängt von vielen verschiedenen individuellen Faktoren ab. Wenn nach einigen Wochen oder Monaten die Symptome der akuten Belastungsreaktion nicht nachlassen, wenn wir nach wie vor unter "traumatischem Stress" leiden, dann hat unser Organismus es nicht geschafft vollständig mit dem Trauma fertig zu werden. Wir leiden vermutlich unter einer Traumafolgestörung.

Wissenschaftliche Untersuchungen besagen, dass ungefähr 25 % der Menschen, die ein außergewöhnlich bedrohliches Ereignis erleben mussten, eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.

Es gibt drei entscheidende Kriterien, die darauf hinweisen, dass wir unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden:

Auch bei traumatisierten Kindern und Jugendlichen lassen sich die drei Symptombereiche (Wiedererleben, Vermeidung, Übererregung) beobachten. Sie stellen sich bei Kindern entwicklungsbedingt allerdings zum Teil anders dar als bei Erwachsenen. Die Symptome, die Kinder entwickeln, variieren erheblich. Die Auswirkungen auf unterschiedlichen Funktionsebenen (Sprache, Reinlichkeit, Bindungsverhalten etc.) legen eine Traumatisierung nicht gleich nahe. Wenn es sich um Traumatisierungen aus der präverbalen Phase handelt, erleben wir bei den Kindern in den folgenden Jahren diffuse Ängste, unerträgliche innere Spannungszustände, körperliche Symptome usw. als einzige Hinweise auf eine mögliche Traumatisierung. Typische Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder dissoziativen Störung können gelegentlich ganz fehlen oder sind nur unvollständig ausgeprägt.

Das alles zeigt, dass unser Organismus immer weiter versucht, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, um es zu verarbeiten. Das bindet einen großen Teil unserer Kraft und Energie. Deshalb wäre es für uns hilfreich, wenn wir uns traumaspezifische Unterstützung suchen (Traumafachberatung, Traumatherapie oder Traumapädagogik).